1. 1.Ellinge Lyng ,75


Ein Foto fiel mir in die Hände,

als wartete es, dass ichs fände:

Zwei Kinder auf ner Kinderbank,

ein kleiner Tisch, längst nicht mehr blank,

zwei übers Werk gebeugte Köpfe,

zwei blonde und zwei braune Zöpfe.

In Karo-Hosen (selbstgenähten)

zwei Kinder, die mit Knete kneten.


Zwei Kinder sitzen nah beisammen

an einem Tischchen voller Schrammen.

Und beide scheinen grad ein „o“.

zu singen, frag mich nicht, wieso.

Schon lange ist das Lied vorbei.

Wann singen wir noch mal, wir zwei?


Die braunen Zöpfe stehn nach oben 

sie sind ganz kurz, und schief vom Toben.

Na klar, in so ner Jungsfrisur,

da ziepen diese Spangen nur.

Du musstest ja partout, mein Bester,

so aussehn wie die große Schwester.

 

Zwei Kinder sitzen eng gedrängt

in längst vergessnes Tun versenkt.

Und was uns da gemeinsam freute,

das tun wir aufgeteilt bis heute:

Zu Zöpfen reichts nur noch bei mir,

und deine Bank, die gönn ich dir.

ich sing und spiel auf jeder Fete,

du hast dafür nen Haufen Knete.


Doch dass wir da zusammen saßen,

das freut mich heute noch dermaßen!

Ich finde Banker jetzt sympathisch,

du magst mein Singen automatisch.

Und ist das Band auch eher lose

so ohne Zopf und Karohose,

in zwei verschiednen Bundesländern,

an Liebe kann das gar nichts ändern.





Kontakt: +49 (0) 1717 844 070 oder per mail


  1. 2.Fenster in St. Pauli


In der Straße, wo ich wohne,

stehn die Häuser dicht an dicht,

aus den Fenstern seh ich Fenster,

mit Gardinen oder ohne,

und ich manchen brennt noch Licht.


        Links im Ersten steht ein Jüngling ohne Hemd und macht sich schön,

        und im Erdgeschoss das alte Paar, das hält schon wieder Händchen.

        Rechts im Zweiten kann man jemand mit den Kindern schimpfen sehn.

        Die Sängerin im Dachgeschoss übt zehnmal Schuberts Ständchen.

        Ein blasser Mensch im dritten Stock scheint Marken zu sortieren

        Jetzt kriecht er unterm Tisch auf allen Vieren.


Wenn man nur durchs Fenster schaut,

kennt man alle und doch keinen,

All ihr Lachen, Warten, Weinen

ist so fremd und doch vertraut.


        Links im Ersten bringt der Jüngling eine Blonde mit nach Haus,

        im Erdgeschoss der Alte liegt im Bett, sie sitzt dabei.

        Rechts im Zweiten schimpft die Mutter ihre Kinder wieder aus.

        Die Sängerin im Dachgeschoss übt Silchers Loreley.

        Der Blasse schreibt im dritten Stock. Vielleicht ist er ein Dichter.

        Ich kenn von allen mehr als die Gesichter.


Wenn man nur durchs Fenster schaut, ...


        Links im Ersten zieht die Blonde offenbar beim Jüngling ein.

        und im Erdgeschoss die Alte trägt jetzt nur noch schwarze Sachen.

        Rechts im Zweiten scheint die Mutter ihre Kinder anzuschrein.

        Die Sängerin vom Dachgeschoss wird wohl ein Gastspiel machen.

        Der Blasse tippt im dritten Stock. Womöglich ist er Hacker.

        Ja, muss der Kerl nicht EINmal raus zum Bäcker?


Wenn man nur durchs Fenster schaut, ...


        Links im Ersten sitzt ein Baby bei dem Jüngling auf den Knien,

        und im Erdgeschoss trägt grad ein Trödler alle Möbel raus.

        Rechts im zweiten Stock wird wieder mal der Nachwuchs angeschrien.   Die Sängerin vom Dachgeschoss, steht da im Treppenhaus.

        Der blasse Mensch im dritten Stock, der öffnet ihr die Tür.

        Sie stellen Cracker aufs Tablett

        und setzen sich ans Fensterbrett

        Und packen Operngläser aus

        und schaun genau

        zu

        mir.

3. Einer von diesen Bühnenträumen


Ich hab mal einen Traum gehabt,

das war vor ziemlich langer Zeit,

da stand ich auf ner Bühne rum,

nur so, im ganz normalen Kleid.

Und um mich hunderte Gestalten,

knallbunt geschminkt und kostümiert,

Jacketts mit Flicken, Schals mit Falten,

die lachend umeinanderwallten,

allein, zu zweit, zu dritt, zu viert.


Sie hingen falsch rum an Trapezen,

sie warfen sich Kamellen zu,

man sah sie sich auf Sofas fläzen,

und einer molk ne grüne Kuh

in Pappmaché-Gebirgskulissen.

Ich fand das fremd und sonderbar,

doch jeder schien genau zu wissen

(und mich nicht weiter zu vermissen),

wozu er auf der Bühne war.


Ich stand da mittendrin und wusste:

Ich ruinierte grad das Stück.

Was wars nur, das ich machen musste?

Wer hatte hier den Überblick?

Ein Gaukler, ganz in bunten Fetzen,

der bremste kurz und sprach mich an:

„Komm, mach doch mit!“ Ich, voll Entsetzen:

„Ich will die Regeln nicht verletzen!

Ich glaube nicht, dass ich das kann!“


Er warf Kaskaden mit drei Kegeln

und sagte: „Hast du’s nicht kapiert?

Hier gibts kein Drehbuch, keine Regeln!

Es ist komplett improvisiert!“


Ich wachte auf und dachte: "Eben!

Genau wie's Leben."


4. Nur zum Spaß


Stell dir doch mal vor - nur so zum Spaß -

du hättest genügend Geld.

Nun ist „genügend“ als Mengenmaß

ja sehr relativ auf der Welt.


Nimm also an, „genügend“ sei

zum Spaß jetzt mal relativ viel,

und du bist begeistert und fühlst dich so frei,

und die Welt wird ein üppiges Spiel:

Du kleidest dich ein

und kaufst dir ein Haus, 

du trinkst edlen Wein

und gehst häufig aus,

du machst weite Reisen

zu herrlichen Stränden,

entfliehst alten Gleisen

und trägst an den Händen

sechs goldene Ringe mit sechs Diamanten.

Und jeden Tag dankst du dem Himmel dafür:

„Ich habe genügend. Welch Freud’, welch Plaisir!“


Stell dir doch mal vor - nur so zum Spaß -

du hättest genügend Geld.

Nun ist „genügend“ als Mengenmaß

ja sehr relativ auf der Welt.


Nimm also an, „genügend“ sei

zum Spaß jetzt mal relativ wenig,

und du bist begeistert und fühlst dich so frei,

und du tauschtest mit keinem König.

Du nähst dir ein Kleid

und nächtigst im Zelt,

der Blick ist so weit,

kein Wecker, der schellt,

du lauschst auf die Meise

im Wipfel der Fichte,

verlässt alte Gleise,

schreibst zwei, drei Gedichte,

du tust, was du willst, und du ziehst mit dem Wind.

Und jeden Tag dankst du dem Himmel dafür:

„Ich habe genügend. Welch Freud’, welch Plaisir!“


Stell dir doch mal vor - nur zum Vergnügen -

das, was du jetzt besitzt, das würde schon genügen.


Vielleicht nicht, um die Segelyacht mit Schampus zu begießen,

doch sicher, um im Heidekraut die Sonne zu genießen.


Zum Glück ist „genügend“ als Mengenmaß

ganz relativ - das ist ja der Spaß!


5. Eichen gleichen


Sitz im Wald hier an den Eichen,

die fast an den Himmel reichen.

Eine Birke steht dazwischen, 

die, um sich hineinzumischen,

grad so krumm und wie verhext

knorrig um die Ecken wächst.

 

Das ist komisch, weil die Fichten

gleich daneben doch mitnichten

ihren geraden Wuchs verlieren

und den Wind im Wipfel spüren.

 

Birke, ach, dein schlankes Schwingen,

dein Gelöstsein von den Dingen

ging verloren, musste weichen

vor dem festen Stand der Eichen.

 

            Wie unglaubwürdig du doch wirkst,

            wenn du dein wahres Ich verbirkst,

            dich eichst

            statt zeichst.

 


  1. 7.Rückfahrt vom Bahnhof mit kaputtem Dynamo

in einer wolkigen Vollmondnacht


Schwarzweiß ist die Welt um mein Fahrrad,

schwarzweiß und ein nebliges grau.

Es leuchten die Wolken

wie eben gemolken

und alles ist Ahnen, nichts sieht man genau.


Schwarzweiß ist vor mir auch die Straße,

ein helles, gewundenes Band.

Es duftet die Nacht, und

ein eifriger Wachthund

verbellt irgendwas, das er fand.


Der Himmel scheint gläsern zu leuchten,

als würd er von jenseits bestrahlt.

Davor schwarz die Fichte

im nebligen Lichte,

das hätte kein Mensch so gemalt.


Wie Wolken von Käfern schwebt schlüpfendes Laub

in den Zweigen der Buchen dort oben.

Es schimmern die Stämme der Birken. Ich glaub,

jemand hat mich in einen Traum eingewoben.


Schwarzweiß ist der Weg durch die Wälder,

schwarzweiß stehn die Bäume am Rand.

In silbernen Schlingen

scheint’s Flüsschen zu singen.

Der Wind streichelt warm meine Hand.


Noch nie war der Heimweg vom Bahnhof

so zaubrisch, so still und so schön,

als käm erst im Dunkeln

das innere Funkeln

der Dinge zum Vorschein und wäre zu sehn.

6. für Verena


Manchmal träume ich, ich könnte fliegen,

und dann stürze ich mich vom Balkon.

Erst erschreck ich: unten ist Beton!

Doch dann bleib ich auf dem Südwind liegen.


Und ich lasse mich nach unten sinken,

fliege überm Bürgersteig entlang,

biege ab bei einem Restaurant,

wo im Garten mir zwei Kinder winken.


Schaukelnd schwimm ich fröhlich durch die Lüfte,

mitten in  die Innenstadt hinein,

und die Leute staunen, zeigen, schrein,

grad als ob sie irgendwas verblüffte.


Und ich rufe: "Hört doch auf zu schnaufen!

Schwimmen in der Luft, das könnt ihr auch.

Springt nur hoch und werft euch auf den Bauch!"

Niemand glaubt's. Sie müssen weiter laufen.


Nur ein Kind von gerade mal drei Jahren

lacht und nickt und fliegt dann auf mich zu,

und es sieht ein bißchen aus wie du,

mit vom Wind zerzausten Strubbelhaaren.


Und wir fliegen auf das nächste Dach,

machen Handstand in der Regenrinne,

fühlen uns ganz wie zwei Hauptgewinne,

und dann werd ich leider,

                                        leider 

                                                  wach.

Die Texte der CD: